Angelika Walser zu Social Egg Freezing
Social Egg Freezing wird laut Medienberichten sehr begrüßt. Warum ist dieses Angebot, das ja auch Schattenseiten hat, von vielen jungen Frauen so unkritisch willkommen geheißen?
Junge Frauen stehen vor einem echten Problem: Wenn sie zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr eine Familie gründen wollen, fehlt ihnen erstens sehr häufig der Partner dazu. Zweitens ist dieses Lebensjahrzehnt genau die Zeitspanne, in der Frauen normalerweise ihre Ausbildung abschließen und dann erst einmal beruflich erfolgreich sein möchten. Dies sind zwei völlig verständliche Gründe, die Umsetzung der Familienplanung auf später zu verschieben. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bieten in Kombination mit immer noch eher traditionellen Geschlechterrollenmodellen nach wie vor zu wenig Möglichkeiten, Kind und Karriere zu vereinbaren. Frauen tragen immer noch die Hauptlast bei der Care-Arbeit. Kinderbetreuung ist – regional unterschiedlich – immer noch ein Problem. In Unternehmen sind Modelle von „shared leadership“ weitgehend unbekannt bzw. werden sie eher belächelt als gefördert. Angesichts sozialpolitischer Versäumnisse macht nun die Reproduktionsmedizin jungen Frauen mit einem hohen Bildungsabschluss das Angebot des Social Freezing. Unter dm Label der reproduktiven Selbstbestimmung verspricht sie, die Wahlmöglichkeiten junger Frauen zu erweitern und ihre Handlungsfähigkeit zu steigern. Es ist nicht erstaunlich, dass junge Frauen, die sich grundsätzlich eine Familie wünschen, diese Option in Erwägung ziehen. In meinen Augen ist sie eher eine Notlösung als Ausdruck echter Selbstbestimmung, aber darüber lässt sich natürlich streiten.
So wie es aussieht, wird Social Egg reezing eingeführt. Erwarten Sie, dass Social Egg Freezing einen Vorteil für Frauen bringen wird? Sind die Erwartungen realistisch?
Für junge Frauen, die sehr gut verdienen und sich mehrere Tausend Euro für die Entnahme und Krykonservierung ihrer Eizellen samt späterer IVF-Behandlung leisten können/möchten, kann Social Freezing eine Option sein. Allerdings ist die überwiegende Mehrheit junger Frauen (und übrigens auch junge Männer!) auf verbesserte soziale Rahmenbedingungen angewiesen, Familie mit Karriere vereinbaren zu können. Es sind also vermutlich nur wenige Frauen, die von dem Angebot profitieren werden. Äußerst problematisch sind in meinen Augen die überzogenen Erwartungen an die Reproduktionsmedizin, die sich mit dem Angebot des Social Egg Freezing noch steigern werden. Studien berichten, dass junge Frauen mittlerweile offensichtlich den Eindruck gewonnen haben, dass die Reproduktionsmedizin eine Garantie für die Erfüllung des Kinderwunsches bietet, und zwar auch noch weit nach der Menopause. Gegen solche völlig illusionären Erwartungen müsste eine Pflicht zur Aufklärung eingemahnt werden, und zwar bereits im Jugendalter in den Schulen.
Argumentiert wird vor allem mit der reproduktiven Autonomie, SEF bringe Empowerment von Frauen, ermögliche Selbstbestimmung und bedeute Chancengleichheit. Was antworten sie?
Im Hinblick auf die hohen Kosten für Social Freezing würde ich die Chancengleichheit bezogen auf Frauen erheblich bezweifeln. Die Mehrheit junger Frauen wird sich Social freezing nicht leisten können und der Staat wird aus Mangel an finanziellen Ressourcen nicht einspringen können.
Was die Frage nach Selbstbestimmung und Empowerment betrifft: Der heute vielstrapazierte Begriff der Autonomie/Selbstbestimmung begründet mittlerweile in allen ethischen Debatten am Anfang und Ende des Lebens nicht mehr ausschließlich Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen ins Leben von Individuen, sondern auch zunehmend Anspruchsrechte. Selbstbestimmung wird hier auf die Ausweitung von Wahlmöglichkeiten (choice) und auf die Handlungsfähigkeit des Subjekts (agency) reduziert, und zwar individualistisch verkürzt. Dabei wird vergessen, dass die bloße Existenz von immer neuen Möglichkeiten noch nicht Autonomie bedeutet. Das erweiterte Angebot an immer neuen Schokoladensorten in einem Supermarkt klärt nicht, für welche Sorte Sie sich am Ende entscheiden. So geht es auch in einem anspruchsvollen ethischen Autonomieverständnis immer um die Notwendigkeit, eine verantwortliche Entscheidung zu fällen – verantwortlich im Hinblick auf das Wohl aller Beteiligten, d.h. in diesem Fall für die angehenden Eltern und das Wunschkind. Bezogen auf Social Freezing sind die erhöhten Risiken von IVF und später Schwangerschaft für Mütter und Kinder mitzubedenken. Social Freezing ist keineswegs die Eintrittskarte für mehr Empowerment und Selbstbestimmung von Frauen!
Die großen ethischen Gesellschaften arbeiten heute mit einem relationalen Autonomiekonzept. Es schärft neben dem Blick für alle Beteiligten den Blick für die sozioökonomischen und die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, unter denen Frauen ihre Entscheidungen treffen. Nimmt man diese unter die Lupe, wird schnell klar, dass die angebliche Selbstbestimmung moderner Frauen eher eine Anpassung an scheinbar nicht zu verändernde Rahmenbedingungen ist. Frauen sollen (ganz freiwillig) wollen, was sie sollen … Das lässt sich dann wunderbar als reproduktive Selbstbestimmung verkaufen.
Worauf ist bei der Gesetzgebung ihrer Meinung nach zu achten, um Druck auf Frauen zu verhindern und unrealistische Erwartungen zu vermeiden?
Es sollte klar formuliert werden, dass Reproduktionsmedizin keine Garantie für die Erfüllung des Kinderwunsches bietet. Außerdem sollte die Politik in die Pflicht genommen werden, die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Kinderwunsches in jungen Jahren zu verbessern. Die im Jahr 2014 medial kolportierten Szenarien bei Facebook und Apple, in denen Großunternehmen Frauen die Kryokonservierung ihrer Eizellen angeboten haben, damit sich diese erst nach Einholung der Erlaubnis der Chefetage ihren Kinderwunsch erfüllen, sind wohl kaum ein Ausdruck der Selbstbestimmung von Frauen, sondern eher das Gegenteil. Angesichts des wachsenden ökonomischen Drucks ist zu befürchten, dass junge Paare die Familienplanung noch weiter nach hinten verschieben werden. Aufklärung über die Grenzen der Reproduktionsmedizin ist daher schon in sehr jungen Jahren ein Gebot der Stunde.
Was wünschen Sie sich abseits von Social Egg Freezing für junge Frauen mit Kinderwunsch, die so sehr unter Druck sind und alles richtig machen sollen?
Gute Kinderbetreuungseinrichtungen; mehr junge Männer, die sich gemeinsam mit ihren Partnerinnen Care-Arbeit und Erwerbsarbeit teilen und dafür fair entlohnt werden; die Einführung von „Shared leadership-Modellen“, hilfsbereite Großeltern und institutionelle Netzwerke, die junge Familien auffangen.
aktion leben wird ab Herbst eine spezielle Beratung für Frauen mit Kinderwunsch aufbauen. Wir spüren den Bedarf einer Begleitung bei den schwierigen Fragen, die sich bei dem Thema stellen – was will ich, in welchem Tempo, wo liegen meine Grenzen. Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben von aktion leben?
Ich finde das ganz hervorragend und wünsche mir viel öffentliche Aufmerksamkeit für dieses sehr notwendige Beratungsangebot. Die Beratung gehört dringend ausgebaut!
Lesen Sie hier auch unsere Position zu Social Egg Freezing und den Stand der Dinge.